Interview: Mit einer Weltklasseleistung von 87,991 Kilometern ist Adam Zahoran erneut Deutscher Meister im 6-Std-Lauf geworden. Ich habe ihn befragen dürfen...

Wahnsinn! 87,991 KM hat Adam in 6 Std. zurückgelegt. Bildquelle: LG DUV
Wahnsinn! 87,991 KM hat Adam in 6 Std. zurückgelegt. Bildquelle: LG DUV

Hi zusammen! Mit einer Weltklasseleistung von 87,991 Kilometern ist Adam Zahoran erneut Deutscher Meister im 6-Stunden-Lauf geworden. Er sagt: «Durch Ultramarathons finde ich die Balance zwischen meinem Körper und meiner Seele sowie häufig die Antwort auf verschiedene philosophische Fragestellungen.» Ich habe den sympathischen Ultra-Läufer vor Kurzem in Würzburg getroffen und ihm einige interessante Fragen für ein neues und umfangreiches «Unter Uns-Interview» mit Tiefgang gestellt. Ich wünsche Euch viel Spaß beim Lesen!

 

Ideale Gerade: Zunächst nochmal herzlichen Glückwunsch, Adam! Du bist erneut Deutscher Meister im 6-Stunden-Lauf geworden. Das ist doch der helle Wahnsinn, oder? Wie fühlst Du Dich heute?

Adam: Eigentlich ganz gut. Nach so einem Lauf bin ich mental immer aufgedreht. Wenn das Rennen gut geht, bin ich anschließend natürlich voll motiviert. Wenn es schlecht läuft, will ich der ganzen Welt zeigen, dass es bloß ein schlechter Tag war und ich es viel besser kann. Unabhängig davon, wie ich bzw. ob ich ein Rennen absolviere, bin ich danach mental immer stärker. Den Begriff mentale Schwäche nach einem Wettkampf kenne ich sowieso nicht. Körperliche Müdigkeit aber dafür umso mehr. Zwar bin ich jetzt aufgrund meiner Leistung äußerst begeistert, aber nach ein paar Kilometern merke ich immer noch, dass die Muskulatur nicht so ganz erholt ist. Ich glaube, ich brauche noch eine Woche und dann bin ich wieder belastbar. Und dann geht es richtig los mit meiner Vorbereitung auf das West Highland Way Race.

Adam bei seinem 6-Stunden-Lauf. Anschließend wurde er wie letztes Jahr Deutscher Meister! Bildquelle: LG DUV
Adam bei seinem 6-Stunden-Lauf. Anschließend wurde er wie letztes Jahr Deutscher Meister! Bildquelle: LG DUV

Ideale Gerade: Sage und schreibe 87,991 Kilometer hast Du in 6 Stunden auf dem 1522 Meter langen Rundkurs zurückgelegt. Wie hast Du das Rennen erlebt?

Adam: Seit dem letzten Jahr habe ich eine eigene Taktik. Die erste Stunde laufe ich eher etwas zurückhaltend. Das mache ich, um in meinen eigenen Rhythmus reinzukommen sowie die Form der Konkurrenten zu testen. Ich gebe erst nach 1-2 Stunden richtig Gas und dann versuche ich die Führungsposition zu übernehmen und anschließend meinen Vorsprung allmählich auszubauen. In Nürnberg, bei der DM, war es genauso. Dazu kam allerdings ein Störfaktor. Meine Garmin-Laufuhr hat aus irgendeinem seltsamen Grund die ganze Zeit gesponnen. Nach einer Stunde habe ich die „Burger Zwillinge“ überrundet und von Rüdiger Burger eine Polar bekommen. Danach bin ich ganz konsequent gelaufen: Mit meiner Garmin habe ich auf meine Pulswerte geachtet und mit Rüdigers Polar meine Pace kontrolliert. Das war mein fünfter 6-Stunden-Lauf und genug Erfahrung habe ich mittlerweile. Aber ohne Uhr ist so eine Leistung unmöglich bzw. sehr schwer. Deswegen bin ich froh, dass Rüdiger mir so spontan helfen konnte.

Ideale Gerade: Wie genau und wie lange hast Du Dich auf diese Herausforderung vorbereitet? Bereits 2015 bist Du mit 85,606 Kilometer Deutscher Meister und sogar Weltjahresbester im 6-Stunden-Lauf geworden. Dieses Jahr war es Dein Ziel, 87 Kilometer zu laufen. Das hast Du geschafft! Wie ist solch eine Leistung möglich?

Adam: Das liegt an einer überlegten und konsequenten Vorbereitung. Ich habe zwei Kerneinheiten. Mitten in der Woche ein Tempotraining (10x1 km, 5x2 km, 4x3 km, oder 5-4-3-2-1 bzw. 3-2-1-2-3 km Pyramidentraining), lang und intensiv. An den Wochenenden steht ein langer Lauf (40-70 km) auf dem Plan. Meine Vorbereitung beträgt etwa 10-12 Wochen. Darüber hinaus habe ich einiges im Gegensatz zu den vergangenen Jahren geändert. Durch die Zusammenarbeit mit der Laufexpertin Julia Derbfuß habe ich meine Ernährung unter Kohlenhydratekarenz umgestellt, um einfach Gewicht zu machen sowie stabiler zu werden, was Blutzucker-Schwankungen angeht. Ich muss sagen, dass dies eine super Erfahrung war, was machbar aus dem Fettspeicher heraus ist, wenn der Körper sich mal umgestellt hat. Zugegebenermaßen war ich früher eher der „Kohlenhydrat-Junkie" (viel Pizza, Leberkäsbrötchen). Außerdem habe ich mehrere Lauftechniktrainings absolviert um meine Bewegungsabläufe zu ökonomisieren. Dazu habe ich drei- bis viermal pro Woche Rumpfstabilisationsübungen in das Training eingebaut.

Zieleinlauf als verdienter Sieger beim Würzburger Gedächtnislauf 2016. Bildquelle: Julia Derbfuß
Zieleinlauf als verdienter Sieger beim Würzburger Gedächtnislauf 2016. Bildquelle: Julia Derbfuß

Ideale Gerade: Doch auch Du hast mal angefangen! Wie bist Du zum Laufen gekommen? Und worin liegt für Dich die Faszination, stundenlang so unheimlich schnell zu laufen?

Adam: Ich bin in einer sportlichen Familie aufgewachsen. Mit meinen Eltern fuhr ich regelmäßig in die Berge, um dort Ausflüge oder Fahrradtouren zu machen. Ein Tag ist mir dabei ganz besonders in Erinnerung geblieben: Auf einer unserer Touren hat ein Freund kurz vor einem Wolkenbruch sein Fahrrad mit einer riesengroßen "Budapest Marathon"-Folie abgedeckt. Um die zu bekommen, muss man an dem Marathon in der ungarischen Hauptstadt ins Ziel kommen – eine Idee, die besonders meiner Mutter gefiel. Zu diesem Zeitpunkt war der Marathon nur einen Monat entfernt. Die Zeit war knapp, aber wir haben begonnen zu laufen und den Marathon dann in der Familien-Staffel geschafft. Dieser erste Marathon war das Öl im Lauf-Feuer – und das brennt immer noch. Das war 2000. Nur vier Jahre später, mit noch nicht einmal 18 Jahren habe ich meinen ersten Ultramarathon, einen 150-km langen Lauf über 3 Tage, mit meinem Vater zusammen absolviert. Das Rennen fiel uns sehr schwer, aber wir haben es mit guten Erinnerungen beendet. So ergab es sich, dass diese Veranstaltung nicht unser erster und letzter Ultramarathon gewesen ist, sondern der Anfang einer Serie war, die mir unvorhergesehen gezeigt hat, dass ich wohl Talent dafür habe, lange Strecken schnell zu laufen. Seitdem bin ich bei vielen Mehrtagesläufen, Trails, 50- und 100-km-Läufen sowie 6-, 12- und 24-Stundenläufen erfolgreich ins Ziel gekommen. Jeden einzelnen Ultramarathon kann ich nicht auflisten, weil die Anzahl mehr als 100 beträgt. Mittlerweile weiß ich genau: Alles was mir Spaß macht: Die Kombination aus Distanz und Geschwindigkeit, das heißt, lang und schnell laufen.

Ideale Gerade: Worin liegt wohl der Schlüssel für Deinen sportlichen Erfolg?

Adam: Ich bin relativ früh mit Sport angesteckt worden. Ohne diesen familiären Hintergrund und diese sportorientierte Einstellung hätte ich wahrscheinlich nie die Chance gehabt, mein verborgenes Talent zu entdecken. Ohne Talent wäre ich aber auch kein erfolgreicher Ultra-Langstreckenläufer geworden: Von meinem Opa und meiner Mama habe ich einen sehr starken Magen und einen eisernen Kopf geerbt. Glücklicherweise sind diese Faktoren die zwei wichtigsten Voraussetzungen bei einem Ultramarathon. Talent ist aber nicht alles. Das ist nur ein Vorteil. Einfach mit Talent kann man keine 100 km laufen. Man braucht eine harte Vorbereitung mit vielen langen Einheiten und Tempoläufen. Und da ich glücklicherweise außergewöhnlich früh begonnen habe mich auf Ultra-Distanzen zu begeben, kann ich mich auf Veränderungen bzw. Modifizierungen lohnend einlassen und ausprobieren.

Liebt die Kombination aus Distanz und Geschwindigkeit. Bildquelle: Julia Derbfuß
Liebt die Kombination aus Distanz und Geschwindigkeit. Bildquelle: Julia Derbfuß

Ideale Gerade: Wie sieht für Dich die ideale Erholung nach Training und Wettkampf aus?

Adam: Wie gesagt, ich habe zwei Kerneinheiten in der Woche: Tempotraining und Dauerlauf. Nach solchen Kerneinheiten erlaube ich mir immer 48 Stunden Ruhe. Das brauchen die Knochen einfach, Muskeln und Faszien ebenso. Diese Erholungsphase ist aber keine komplette Pause, sondern eine regenerative Zeit mit extensiven Läufen oder Krafttrainings, ohne anspruchsvolle Laufeinheiten. Natürlich nehme ich nach solchen intensiven Einheiten viel Magnesium und Eiweiß (Almased) zu mir. Ich versuche genug zu schlafen und mit positiven Impulsen (Konzerte, Bücher etc.) schöne Momente zu erleben und dadurch Monotonie komplett zu vermeiden.

Ideale Gerade: Der Ultramarathon ist für Dich nicht nur eine Sportart, es ist eine Art Lebensstil. Wieso?

Adam: „Wenn du laufen willst, dann lauf eine Meile. Willst du aber ein neues Leben, dann lauf Marathon.“ – hat der berühmte tschechische Langstreckenläufer und Olympiasieger Emil Zatopek gesagt. Und das gilt noch mehr für Ultramarathons. Ultramarathon ist viel mehr als nur eine Sportart: Ein Lebenstil, eine komplexe Angelegenheit, wo man verschiedene Probleme und Herausforderungen bewältigen und lösen muss. Es gibt nie zwei gleiche Rennen. Ultramarathons sind immer anders. Grundsätzlich ist es aber so: Je länger die Strecke ist, desto wichtiger sind die mentalen Faktoren. Und die mentale Stärke ist bei mir genetisch vorhanden. Außerdem philosophiere ich mit meiner sentimentalen Art und Weise immer gerne. Durch Ultramarathons finde ich die Balance zwischen meinem Körper und meiner Seele sowie häufig die Antwort auf verschiedene philosophische Fragestellungen.

Im schönen oberfränkischen Bamberg zu Hause. Bildquelle: Julia Derbfuß
Im schönen oberfränkischen Bamberg zu Hause. Bildquelle: Julia Derbfuß

Ideale Gerade: Wie gehst Du Deine Ultraläufe an bzw. was genau spielt sich in Deinem Kopf ab?

Adam: In den ersten 3 Stunden bei einem 6-Stunden-Lauf lasse ich meinen Puls nicht über 150 gehen bzw. erlaube ich mir keine körperliche Müdigkeit. Die zweite Hälfte möchte ich immer voll fit anfangen. Erfahrungsgemäß ist es so: Wenn ich in der ersten Hälfte schon muskuläre Beschwerden bzw. einen erhöhten Puls habe, dann wird mein Endergebnis auch wesentlich schlechter als geplant ausfallen. In der ersten Hälfte geht es also vor allem um Selbstkontrolle. Erst in der zweiten Hälfte darf ich nach Gefühl laufen. Trotzdem ist die letzte Stunde immer besonders schwer. Dann ist es ein reines Kopfspiel! In dieser Phase darf ich nicht daran denken, dass ich schon 80 km gelaufen bin, sondern sage mir einfach: "Heute bin ich noch nichts gelaufen... ich starte nun ein 8 km langes Training mit etwas Müdigkeit... schaffe ich das? 8 km mit Muskelkater? Klar, das ist doch nur ein Klacks." Ich stelle mir also vor, dass ich auf meiner Lieblingsstrecke 8 km laufe und sage: "Jetzt bin ich schon bei diesem Baum, bei der Brücke, bei dem Haus... jetzt nur noch 4 km... also keine 4 km mehr, sondern nur 3 km und jetzt noch Bonuskilometer." Man sieht, dass der Körper in der letzten Stunde schon fertig ist, doch letztlich geht es nur um das Spiel mit den Gedanken.

Ideale Gerade: Wie wichtig ist Dir neben dem Training eine gesunde und ausgewogene Ernährung?

Adam: Durch die Zusammenarbeit mit der Laufexpertin Julia Derbfuß habe ich meine Ernährung komplett umgestellt und konnte sehr gut Gewicht machen ohne Muskelmasse zu verlieren. Interessant war für mich die Tatsache, dass ich kalorisch nichts verändern musste. Ich habe über Eiweißmahlzeiten - jedoch ohne Kohlehydrate - erfahren, dass ich viel stabiler geworden bin in Bezug auf energetische Versorgung. Das war für mich eine absolut neue Erfahrung, ich bin dadurch jedenfalls wesentlich stabiler geworden was meine Schwankungen angeht.

Ideale Gerade: Der absolute Höhepunkt für Dich folgt aber erst noch: Das West Highland Way Race! Ein 153 Kilometer-Rennen mit 4.500 Höhenmetern im schottischen Hochland zwischen Glasgow und Fort William. Was versprichst Du Dir von diesem einzigarten Rennen im Juni?

Adam: Für mich persönlich ist es ein besonderes Rennen, weil ich diesen Lauf schon einmal geplant hatte und dann aus verletzungstechnischen Gründen leider nicht starten konnte. Dieses Jahr werde ich mich mit entsprechender Vorbereitung viel besser wappnen für die gestellten Anforderungen und ich bin auf einem guten Weg wie es mir scheint. Jedoch möchte ich nichts versprechen. Wirklich gar nichts. Die Strecke ist lang und anspruchsvoll. Sowas kann man nicht planen. Dazu kommen noch weitere Faktoren, wie die Qualität des Untergrundes und der Markierungen sowie die Wetterbedingungen. Das ist so eine komplexe Angelegenheit, die man zwar gerne plant, doch das ursprünglich vorgesehene Drehbuch während des Rennens muss vielfach geändert bzw. angepasst werden. Aber auf jeden Fall möchte ich 6-er Schnitt laufen und unter 15 Stunden und 18 Minuten ins Ziel kommen.

Röntgenbild Ermüdungsbruch. Bildquelle: Adam Zahoran
Röntgenbild Ermüdungsbruch. Bildquelle: Adam Zahoran

Ideale Gerade: Erfolgreich zu sein ist die eine Seite. Du kennst aber auch die andere Seite der Medaille, stimmts?

Adam: Im Jahr 2009 habe ich einen Ermüdungsbruch im Oberschenkelhals erlitten. Das ist im Rahmen eines Mehrtageslaufes passiert, 3 Kilometer vor dem Ziel. Ich habe mit all meiner Kraft versucht, das Ziel zu erreichen. Da ich aber gar nicht mehr gehen konnte, musste ich aussteigen. Ich bin ins Krankenhaus gebracht worden, wo dann die Diagnose gestellt wurde. Für mich war es ein herber Rückschlag: Körperlich war diese Verletzung mit enormen Schmerzen verbunden (auch wochenlang nach meiner OP). Mental war es auch nicht besser: Ich war zuvor erfolgreich, stark und gesund, plötzlich war ich völlig eingeschränkt - ich konnte nicht mal mehr alleine auf die Toilette gehen. Das war eine sehr schwere Phase für mich. Es gab Ärzte, die mir empfohlen haben, mit dem Sport komplett aufzuhören. Doch ich habe nicht auf ihre Ratschläge gehört! Im Gegenteil! Ich habe gesagt: Das wird nicht bloß ein Come-back, sondern... ich werde besser sein... besser als jemals zuvor. Das ist mir gelungen! Mit viel Geduld, Übungen und Unterstützung seitens meiner Familie und Freunde. Mein erster richtiger Erfolg nach dieser Verletzung war mein Sieg beim Würzburger Gedächtnislauf im Jahr 2012.

Vielen herzlichen Dank für Deine ausführlichen Antworten, Adam. Ich wünsche Dir weiterhin viel Erfolg und vor allem Gesundheit! Ich drücke Dir für das West Highland Way Race ganz fest die Daumen. Auf Deinen Bericht bin ich schon sehr gespannt! Wir sehen uns dieses Jahr vielleicht beim Zeiler Waldmarathon wieder. Mach weiter so!