Interview: Jetzt wird's extrem! Susanne aus München spricht ausführlich über ihre 42,195 Kilometer beim diesjährigen Polar Circle Marathon in Grönland...

Jetzt wird's extrem! Im "Unter Uns-Interview" spricht Susanne über ihre 42,195 Kilometer beim diesjährigen Polar Circle Marathon in Grönland. Sie sagt: «Es ist ein einzigartiges Erlebnis, das man sein Leben lang nie wieder vergisst!» Euch erwartet ein aufschlussreiches und sehr interessantes Interview! :-)

Sue freudestrahlend beim Polar Circle Marathon. Bildquelle: Marathon-Photos.com
Sue freudestrahlend beim Polar Circle Marathon. Bildquelle: Marathon-Photos.com

Ideale Gerade: Eine absolute Grenzerfahrung: Du bist kürzlich den Polar Circle Marathon in Grönland gelaufen. Der Wahnsinn! Wie kann man sich die 42,195 Kilometer dort in etwa vorstellen?

Sue: Abgesehen von der exakt vermessenen 42,195 Kilometer langen Distanz ist bei diesem Marathon wirklich alles anders! Extreme Temperaturen um die minus 20 Grad und teilweise heftiger Wind, was zu ernsthaften Erfrierungen führen könnte, wenn man nicht auf sich acht gibt. Tausende Jahre altes Eis, kniehoher Schnee, rund 750 Höhenmeter in einer ganz bizarren Landschaft. Zuerst läuft man mehrere Kilometer auf dem sogenannten Inlandeis, danach geht es immer die Straße Richtung Kangerlussuaq entlang. Sie schlängelt sich rechts und links und geht ständig rauf und runter, denn Grönland ist ziemlich bergig. Anfangs sind noch andere Läufer da, aber später ist man ganz alleine. Zuschauer gibt's hier auch nicht und weit und breit ist niemand vor oder hinter einem zu sehen und nach einer gewissen Zeit wird es ziemlich eintönig und mental echt schwer, da sind die Verpflegungspunkte (alle fünf Kilometer eine Station) eine willkommene Abwechslung. Dort werden warme ISO- und Holunderblütengetränke und manchmal auch Riegel gereicht. Von Eigenverpflegung hat der Veranstalter abgeraten, weil einem Gels und Riegel in der Jackentasche nach kurzer Zeit einfrieren würden und somit unbrauchbar wären.

Bezaubernde Eindrücke an der Marathonstrecke. Bildquelle: Marathon-Photos.com
Bezaubernde Eindrücke an der Marathonstrecke. Bildquelle: Marathon-Photos.com

Ideale Gerade: Eiseskälte, überall nur Schnee und Eis! Wie hast Du diesen Lauf selbst erlebt? Wie ist es für Dich gelaufen?

Sue: Die ersten zehn Kilometer machten mega viel Spaß und waren abwechslungsreich und landschaftlich sehr beeindruckend! Auf dem tausende Jahre alten Inlandeis zu laufen ist wirklich einzigartig, man wird regelrecht verzaubert und die Anstrengung ist gar nicht spüren. Auf den nächsten zehn Kilometern beginnt der eigentliche Marathonlauf: Wenn man die lange Straße Richtung Westen entlang läuft. Man fühlt sich stark, genießt die Landschaft und den Lauf, spürt und hört das Knirschen des Schnees unter den Schuhen, trifft ab und zu noch auf andere Läufer. Man kann sein Glück kaum fassen, dass man zu den Priveligierten dieser Welt gehört, die diesen ganz besonderen Marathon laufen. Die Dankbarkeit ist groß. Sehr groß sogar. Das ändert sich jedoch nach ungefähr der Hälfte der Strecke. Beim Erreichen der HM-Marke war ich schon völlig entkräftet. Gehen, laufen, gehen, laufen. Mir wurde kalt. Sehr kalt sogar.

Was für eine Landschaft! Bildquelle: Marathon-Photos.com
Was für eine Landschaft! Bildquelle: Marathon-Photos.com

Meine Laufbekleidung war zwar eigentlich gut gewählt, aber sie war eher für's Laufen und nicht etwa für's Gehen gedacht! Und alles sah gleich aus. Schnee und Eis soweit das Auge reicht! Hügel und Berge rechts des Weges, Hügel und Berge links des Weges. Eine kleine Brücke, ein gefrorener See, Tierspuren im Schnee. Eine Anhöhe, eine Kurve und das Gleiche noch mal. Immer wieder und wieder und wieder und das Ziel wollte partout nicht näher kommen. Ich war mental total am Ende und musste mich auch irgendwann von den angestrebten "Sub 5" verabschieden, was für den Kopf auch nicht gerade förderlich war. Innerlich habe ich geschimpft und geflucht. Ich wusste, dass dieser Marathon richtig hart würde, aber er war der mit Abstand härteste den ich jemals gelaufen bin. Am Ende kam ich völlig k.o. nach 5:18:19 Stunden als insgesamt neunte Frau ins Ziel. Ich war zwar mega glücklich, aber selbst zum Lächeln kaum noch in der Lage. Ein paar Stunden später nach einer sehr langen und heißen Dusche, einem Schoko-Proteinshake und einem kleinen Mittagsschlaf sah das natürlich schon wieder anders aus und mittlerweile denke ich sogar über eine Wiederholung nach!

Ideale Gerade: Wie kommt man überhaupt auf die Idee, ein solches Abenteuer im ewigen Eis in Angriff zu nehmen?

Sue: Es ist ziemlich genau ein Jahr her, als ich mit einer schlimmen Knieverletzung und ungünstigen Prognose Zuhause saß und das Internet nach ungewöhnlichen Laufveranstaltungen durchsuchte. Klingt irgendwie widersprüchlich, aber mittlerweile habe ich Ähnliches von anderen Läufern gehört. Bei meiner Suche stieß ich plötzlich auf den Polar Circle Marathon und ein drei Minuten langes Video vom Marathon 2015, das mich sofort in seinen Bann zog. Ich war wie verzaubert und schaute es teilweise mehrfach am Tag an und wusste, ich will es unbedingt tun, selbst wenn's das Letzte ist, was ich tue! Nach all den Straßenläufen sollte endlich mal wieder etwas ganz Besonders her, dieser Marathon würde in allen Hinsichten eine besonders große Herausforderung und unvergessliches Erlebnis werden. So was es auch!

Eindrucksvolle Schnee- und Eislandschaften. Bildquelle: Marathon-Photos.com
Eindrucksvolle Schnee- und Eislandschaften. Bildquelle: Marathon-Photos.com

Ideale Gerade: Welche Vorbereitungen musstest Du im Vorfeld treffen?

Sue: Der Marathon wird von "Albatros Adventure Marathons" angeboten und man muss sich um fast nichts selbst kümmern. Das fand ich äußerst bequem. Die Reise geht offiziell in Kopenhagen los, das heißt, man braucht sich bloß um die Anreise nach Kopenhagen zu kümmern, alles andere kann man über den Reiseveranstalter buchen. Es gab verschiedene Unterkünfte, mehrere zusätzliche Ausflüge und eine Verlängerung um vier Tage in Illulissat im Angebot. Außerdem konnte man zwischen Marathon und Halbmarathon oder der sog. "Polar Bear Challenge" (M + am nächsten Tag sogar noch den HM) wählen.

Dicke Schneedecke lässt grüßen. Bildquelle: Sue
Dicke Schneedecke lässt grüßen. Bildquelle: Sue

Ideale Gerade: Hast Du spezielle Trainingseinheiten in den Wochen vor dem Start absolviert?

Sue: Nein, habe ich nicht. Ich konnte mich weder auf die extreme Kälte, noch auf die vielen Höhenmeter oder auf die lange Strecke vorbereiten. Mein lädiertes Knie mag diese langen Läufe einfach nicht mehr, weshalb ich nun immer schlecht vorbereitet an der Startlinie stehe, was sich dann ab der Hälfte des Marathons natürlich sehr unschön bemerkbar macht.
An einem ungewöhnlich warmen Samstag im Oktober wollte ich meine Laufklamotten in der Kältekammer im Globetrotter in München testen, aber nach ein paar Minuten habe ich tatsächlich schon abgebrochen. Es war mir echt zu kalt in der Kammer und außerdem wurde ich da drinnen begafft wie ein Tier im Zoo, das war mir dann irgendwie peinlich, als ich da so auf der Stelle lief und hüpfte.

Hoch hinaus ging es beim Polar Circle Marathon. Bildquelle: Sue
Hoch hinaus ging es beim Polar Circle Marathon. Bildquelle: Sue

Ideale Gerade: Welches Equipment ist für ein solches Abenteuer zwingend notwendig?

Sue: Der Veranstalter empfiehlt unbedingt windundurchlässige Funktionsbekleidung im Zwiebelprinzip zu tragen. Genau so hab ich's auch gehandhabt. Mehrere Laufshirts und eine dicke Softshelljacke, ebenso zwei Thermo-/Softshell-Laufhosen übereinander und mehrere Bufftücher für den Hals und für's Gesicht. Eine extra warme Laufmütze hatte ich auf und zeitweise zusätzlich noch Kapuze getragen. Ich hatte zwar noch neue Handschuhe gekauft, aber die waren definitv zu dünn. Goretex-Laufschuhe und Gamaschen sind ebenfalls empfehlenswert und natürlich Winterwolllaufsocken. Und ganz wichtig sind natürlich Spikes! Vor allem auf dem ersten Abschnitt, wo man über das Inlandeis läuft, da sind sie ein absolutes Muss! Später wäre es auch ohne gegangen, was die Sache erleichtert hätte, denn 42 KM mit Spikes sind nicht angenehm. Natürlich sollte man auch seine Augen mit einer Ski- oder großen Sonnenbrille schützen.

Ideale Gerade: Wie war der Marathon organisiert? Würdest Du diesen Lauf weiterempfehlen?

Sue: Der Lauf und die gesamte Reise waren einfach durch und durch gut organisiert. Ein ganzes Dutzend Reiseleiter standen zur Verfügung und waren unermüdlich im Einsatz, um uns eine tolle Zeit auf Grönland zu ermöglichen. Die Reise ist teuer, aber definitv jeden einzelnen Euro wert! Jedem, der gerne mal einen ganz besonderen Marathon laufen möchte, kann ich diesen Lauf und diese Reise insgesamt mit bestem Gewissen empfehlen. Es ist ein einzigartiges Erlebnis, das man sein Leben lang nie wieder vergisst!

Ideale Gerade: Wie viele Teilnehmer gab es überhaupt? Sind alle ins Ziel gekommen?

Sue: Es waren insgesamt ca. 200 Teilnehmer aus allen Teilen der Welt vertreten. Sogar aus Australien, Neuseeland, Japan, China, Südafrika u.s.w. waren sie gekommen, um diesen ungewöhnlichen Lauf zu erleben. Ja, es haben alle das Ziel erreicht, aber verhältnismäßig viele konnten das Zeitlimit nicht einhalten. Man hat sie natürlich trotzdem finishen lassen, herzlich Willkommen geheißen und mit einer wunderschönen Medaille geehrt, aber in der Ergebnisliste sind einige nun gar nicht und andere als DNF aufgeführt. Das maximale Zeitlimit für den Marathon beträgt 7 Stunden und für den Halbmarathon 4 Stunden, also großzügig bemessen, wenn es ein normaler Marathon wäre, aber das ist er definitiv nicht!

Wow! Vielen herzlichen Dank für das überaus informative und interessante Interview, Sue. Wahrlich eine Wahnsinnserfahrung! Einfach spitze, dass ich Dir all diese Fragen stellen durfte! Bleib so wie Du bist! :-)